Lieber Herr Jenett,
am Donnerstag erzählte ich Ihnen hier von den Versuchen anderer Städte, den Straßenraum während der Pandemie anders aufzuteilen. Dazu die Frage, was Sie denn so von Spielstraßen und temporären Bike Lanes halten. Das Wochenende habe ich dann mit Lesen verbracht – denn es waren viele Mails. Viele lange Mails.
Doch nun muss ich mich kurz fassen, also los: Die große Mehrheit unserer Leser befürwortet die Modellversuche, sehnt sie geradezu herbei. Sehr viele Ottenser schrieben uns, die beim Spazierengehen auf Bordsteinkarten balancieren und dabei wehmütig an ihr autofreies Quartier zurückdenken. Uns schrieben Fußgänger, die beim Überqueren der Krugkoppelbrücke auf den Radfahrstreifen ausweichen, woraufhin die Radfahrer auf die Straße ausweichen, woraufhin Autofahrer sich den Weg freihupen. Klingt gefährlich, nicht nur mit Blick auf den Infektionsschutz – und das ist nur ein Beispiel unter vielen. Ein Spaziergang am östlichen Alsterufer scheint gerade auch ein kleines Abenteuer zu sein.
Nachdenklich stimmten mich die vielen Mails der Eltern (»Meine Kinder gehen zu Hause die Wände hoch, ich weiß nicht mehr, wohin mit ihnen«) – dazu finden Sie weiter unten einen passenden Kommentar aus der ZEIT.
Eine Aussage fand sich in vielen Mails, stellvertretend sei eine Leserin zitiert: »Ich sehe in dieser Krise die Chance, dass viele Gewohnheiten und Selbstverständlichkeiten auf den Prüfstand kommen. Wir haben uns im präcoronaren Alltag an so viele Dinge gewöhnt, die uns eigentlich nicht gut tun. Immer haben wir eine Rechtfertigung parat, warum dies oder jenes so sein müsse. Aber machen wir uns da vielleicht was vor?« (Richtig, »präcoronar«, kannte ich auch noch nicht.)
Und was sagt die Politik? Die Linken haben gerade einen Antrag eingebracht, in dem sie mehr Platz, unter anderem temporäre Radstreifen, Vorrangzonen für Fußgänger und Spielstraßen fordern. Und die Grünen, nach denen einige Leser explizit fragten? Katharina Fegebank nannte die Bilder aus anderen Städten im Interview mit dem NDR kürzlich »inspirierend«. Dann wurde es still. Am Freitag sagte mir Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks: »Wir finden diese Ideen sehr sympathisch und sind darüber mit der SPD im Gespräch. Als Regierungsfraktionen werden wir dazu in Kürze einen Vorschlag vorlegen.«
Und jetzt sind wir gespannt.